Jürgen Heiter

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Ende des Imaginären

Jürgen Heiter / Helmut Banz
Mitwirkende:Thomas Hornemann, Ute Haecker, Nino Malfatti, Cristi Cara, Boris Löhe
Narrator: Helmut W. Banz
Musik: Sven Ake Johansson, Christi Cara
Video Beta SP, ca. 12 Min. s/w u. Farbe, Transfer auf DVD.   D 1996



Das Beharren auf Erzählung. Die Zeit geht in alle Richtungen.

Der Diskurs oder diskontinuierliche Kurs von Ende des Imaginären durchquert eine Trümmerlandschaft, das Reich des Imaginären und der Utopien. Daher folgt jetzt auch kein Text, sondern eine Zusammenstellung von Ideenskizzen und Gedankensplittern ohne lineare Ordnung. Auch die Zeit geht ja angeblich in alle Richtungen. Endlich , würde Giordano Bruno sagen, endlich ein Kosmos ohne Zentrum. Der hat das früh erkannt und ist deshalb auf dem Campo d. Fiori verbrannt worden.

Das Material (BetaSp-Kopie eines abgelagerten Ampexbandes)
Der Zustand der Welt entspricht dem Zustand dieses Videobandes: Kaputte Reste , es ist laut, dreckig, ein totaler Trümmerhaufen, unscharf: Wahnsinnig gewordene Einzelteile.
Das Leben , die Zerrissenheit, zerrissene Gefühle, keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende. Und doch, wenn auch nur schemenhaft Bilder und Töne, die von Glückssuchern handeln, lauter laute Sehnsüchtige

Die neuen Utopien sind die alten. Wie neu ist Erkenntnistheorie?
Utopie: Sie sind, was Sie getan haben, und was Sie sein werden, ist, was Sie jetzt tun.
Anders gesagt: Das Bildmaterial stammt aus Proben-Videos, die 1984 bei den Vorbereitungen meines Films Rot und Blau entstanden. 12 Jahre später montierte ich daraus Ende des Imaginären.

Zu sehen und zu hören ist eine Art Geschichtlichkeit: Das romantische Künstleratelier, 20. Jahrhundert ( Mülheimer Freiheit ) und die Sehnsucht des alten Malers Frenhofer (bei Balza c ) nach dem vollendeten Meisterwerk, 19. Jahrhundert.

Schichten von Vergangenheit
oder: Die Geschichte der Schichten der Geschichte.
Sie sind, was Sie getan haben usw., denn: Um einen Weg nach Utopia formulieren zu können, müssen die gegebenen Umstände verstanden werden, jeder andere vorausgehende Schritt macht die Vorwärtsbewegung nur zu einer Art Flucht.

Utopien: Bilder und Töne, die sich wie Paare unterwegs begegnen und für immer zusammenbleiben...

Auf der Tonspur, eingelesen, Fragmente aus:
Das unbekannte Meisterwerk, Honoré de Balzac, 1832
Im Paris des 17.Jahrhunderts läßt Balzac den jungen Maler Poussin sowie Porbus, den bereits arrivierten Hofmaler Heinrichs IV., mit einem alten Maler namens Frenhofer zusammentreffen, der seit zehn Jahren an einem Frauenporträt arbeitet, das er Catherine Lescault nennt.
Poussin brennt darauf, dieses unbekannte Meisterwerk, das Frenhofer keinem Menschen je gezeigt hat, zu sehen.
Als Frenhofer nun endlich das Bild enthüllt, können Porbus und Poussin nur ein Gewirr von Linien und übernandergeschichteten Farben wahrnehmen, aus denen lediglich die Spitze eines herrlich gemalten Frauenfußes hervorragt. Frenhofer erkennt nun , daß auf der Leinwand das in seiner künstlerischen Phantasie ursprünglich entworfene Bildnis nicht mehr sichtbar ist, und in der darauffolgenden Nacht vernichtet er seine Bilder und stirbt.

Dagegen/daneben Bilder von Proben zu einem Spielfilm. Und Musik. Ein Schlager, denn die Sehnsucht nach Oper und großen Gefühlen ist groß;dann auch, wie ein Fazit zur Struktur des dramatischen Plots, der Gesang
Die alte Kuckucksuhr von Sven Ake Johansson.

Bilder und Töne berühren sich, laufen auseinander, kaum auszuhalten, denn, wie gesagt: Die Sehnsucht nach Zusammenhang, nach Geschichten, nach der Oper, ist groß.
Aber, das Leben ist schwierig und laut.

Zusammensetzen und zerlegen.

Bild-und Tonspur haben kurze Momente von Identität, der Text von Balzac könnte auf die jeweiligen Bilder zu beziehen sein, dann aber fällt alles wieder auseinander. Man kriegt es nicht zusammen, auf Dauer, es ist wie mit dem geglückten Augenblick, von dem es heißt, daß sich das Bild davon und die Wirklichkeit für einen Moment deckungsgleich übereinanderlegen, um sich dann sogleich wieder gegeneinander zu verschieben. Das Unglück beginnt, geht weiter.

Das Glück
wie das Elend
letztes Argument
letztes Fundament der modernen Gemeinschaft
ist der Hintergrund für alle unsere Dramen
unsere Gedanken, unsere Taten
und selbst für unsere Utopien.

Die neuen Utopien sind die alten. Nur anders.
Am Ende des Videos, nachdem die Schlußtitel gesprochen sind, geht die Geschichte noch für einen kurzen Moment weiter:
Einer (der Maler Nino Malfatti) spricht in die Kamera:
"Der Dichter sieht in gleichem Maße in dem er sich zeigt. Und umgekehrt.
Eines Tages wird jeder Mensch zeigen, was der Dichter gesehen hat. Ende des Imaginären."

Jürgen Heiter
Schloß Balmoral, Bad Ems, 6. September 2007




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